Nahost-Proteste an Sciences Po: Kaderschmiede als Protesthochburg

Trotz eines Debatten-Versuchs gehen die Nahost-Proteste an der Sciences Po weiter. Zuletzt stellt die Uni auf Online-Betrieb um. Die Regionalbehörden wollen die Subventionen kürzen.

Polizisten führen einen Demonstranten ab

Ein Demonstrant wird von Polizisten bei der Räumung eines propalästinensischen Sitzstreiks in der Sciences Po eskortiert Foto: Miguel Medina/AFP/dpa

PARIS taz | Als „Schwindel!“ bezeichnet der Student Hubert Launois auf dem Netzwerk X die „Townhall“- Debatte an der französischen Eliteuniversität Sciences Po. Sie war am Donnerstag als Reaktion auf die Studierendenproteste zum Nahostkonflikt organisiert worden. Zwar seien alle Studierenden, Lehrkräfte und Beschäftigten eingeladen worden, und alle Meinungen, auch kompromisslos klingende, konnten friedlich geäußert werden, so Launois. Doch ein Dialog zwischen den verhärteten Lagern scheint vorerst nicht möglich zu sein. Die Mitglieder des Comité Palestine fühlen sich als „Judenhasser“ und „Sektierer“ verunglimpft, ihre Kritiker werden als „Faschisten“ beschimpft.

Seit Beginn des Kriegs zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas war es an der Sciences Po, dem Institut für politische Studien, mehrfach zu pro-palästinensischen Kundgebungen und Spannungen gekommen. Studierende besetzten in der vergangenen Woche Teile des Gebäudes oder blockierten Zugänge. Es gab mehrfach Auseinandersetzungen.

Am Donnerstagabend lösten Sicherheitskräfte ein Protestlager mit etwa 300 Studierenden auf, am Folgetag wurden bei dem Versuch einer Besetzungsaktion 91 Personen vorübergehend festgenommen. Die Uni stellte schließlich auf Online-Betrieb um. Die meisten Gebäude blieben am Freitag geschlossen und die Polizei sperrte Zufahrtsstraßen ab.

Launois verstehe sein politisches Engagement als seine „Pflicht“. Der Zeitung La Croix erzählt er, er sei Friedensaktivist, motiviert von christlichen Ideen. Dabei sei er weder ein Mitglied der Partei La France insoumise noch ein Teil der Bewegung Comité Palestine. Über die Debatte und auch das Verhalten der Schulleitung sei er enttäuscht. „Sie hat weder angekündigt, die Partnerschaften mit israelischen Universitäten und Unternehmen überprüfen zu wollen, noch versprochen, auf weitere Polizeieinsätze zu verzichten.“

Keine Fakultät wie andere

Der Befehl zu den Einsätzen kommt von ganz oben. Premierminister Gabriel Attal will mit hartem Durchgreifen vermeiden, dass sich die Besetzungsaktionen noch weiter ausbreiten und zu gewaltsamen Konflikten eskalieren. Attal will zudem verhindern, dass Frankreichs Eliteschule für Politik wie die Columbia-Universität in New York zur Hochburg dieser Proteste wird.

Sciences-Po in Paris ist nicht bloß eine Fakultät wie andere. Sie ist nach Harvard die beste Schule für Politologie und Internationale Beziehungen und wurde 1872 als Kaderschmiede der Republik gegründet. Zahllose Spitzenpolitiker und Persönlichkeiten der Kultur oder Wirtschaft haben hier studiert: Schriftsteller wie Paul Claudel und Marcel Proust, aber auch Minister, Regierungschefs und Staatspräsidenten wie François Mitterrand, Jacques Chirac und Emmanuel Macron gehören zu ihren Absolventen.

Ein Diplom des Instituts des Études Politiques (IEP) gilt in Frankreich immer noch als Referenz bei der Nominierung von Ministern und Premierministern. Kombiniert mit dem Abschluss der Nationalen Verwaltungshochschule (ENA) als Garantie für eine Spitzenkarriere. Lange war der Eintritt in diese Eliteschule den Kindern aus privilegierten Familien vorbehalten. Erst seit etwas mehr als 25 Jahren wurde sie auch für besonders begabte Schü­le­r*in­nen aus sonst benachteiligten Quartieren der Banlieue und vermehrt für Absolventen aus dem Ausland geöffnet.

Dabei nahm die Meinungsvielfalt der Studierenden zu. Seit Jahren schon wird Sciences Po wegen ihrer Solidaritätsveranstaltungen mit Unterdrückten in reaktionären Kreisen als „Hort des Wokismus“ bezeichnet. Erst kürzlich titelte Le Figaro „Sciences Po beugt sich dem Druck der Islamo-Gauchisten“. Die Proteste sind nur der letzte Tropfen gewesen, welches das Fass für die Rechten zum Überlaufen brachte.

Druck von Rechts

Als Konsequenz hat Valérie Pécresse, die konservative Vorsitzende der Hauptstadtregion, die Streichung der jährlichen Subventionen von rund einer Million Euro angekündigt. „Eine Minderheit von Radikalisierten, die zum antisemitischen Hass aufrufen und von LFI (La France insoumise) und deren islamo-gauchistischen Alliierten instrumentalisiert werden, dürfen nicht der gesamten universitären Gemeinschaft ihr Gesetz diktieren“, so die Erklärung von Pécresse.

Für Eric Ciotti, Vorsitzende der konservative Partei Les Républicains (LR), geht das nicht weit genug. Er kritisiert, die Regierung sei viel zu nachsichtig mit den Demonstrierenden von Sciences Po und wirft der Schulleitung vor, sie würde den Aktivisten „mit der Einstellung von Disziplinarverfahren einen Blankoscheck für antisemitische Forderungen“ ausstellen.

Die LFI dagegen macht dieses Klima der Repression zum Hauptthema ihrer laufenden EU-Wahlkampagne. Die Kandidatin Rima Hassan war in dieser Woche zusammen mit der LFI Fraktionsvorsitzenden der Nationalversammlung, Mathilde Panot, wegen ihrer Unterstützung der Aktionen bei Sciences-Po zu einer polizeilichen Anhörung vorgeladen. Ihr wird die „Verherrlichung von Terrorismus“ vorgeworfen.

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